Umfang der Notkredite verfassungswidrig
Der Umfang der Notkredite, die der Schleswig-Holsteinische Landtag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beschlossen hat, verstößt gegen die Landesverfassung. Das ist die klare Aussage eines Rechtsgutachtens, das Professor Dr. Florian Becker, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, für den Bund der Steuerzahler erarbeitet hat.
Dr. Aloys Altmann, Präsident des Bundes der Steuerzahler Schleswig-Holstein, sagte dazu in einem Statement: „wir fühlen uns durch das Gutachten von Herrn Professor Becker in unserer Auffassung und unserer Kritik nun auch juristisch bestätigt. Die Landtagsabgeordneten haben die zweifellos bestehende Ausnahmesituation missbraucht, um sich mit zusätzlichen Krediten einzudecken, die nicht für die Krisenbewältigung, sondern für andere politische Ziele verwendet werden sollen. Offenbar war es allzu verlockend, die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, um die Taschen voll zu stopfen mit Geldreserven für die nächsten Jahre. Alles auf Pump zu Lasten kommender Generationen. Zurückgezahlt werden müssen diese Kredite von Steuerzahlern, die heute zum Teil noch gar nicht geboren worden sind! Das ist das Gegenteil von der immer wieder beschworenen Nachhaltigkeit und eine schwere Hypothek für all diejenigen, die möglicherweise neue schwierige Herausforderungen auch finanziell bewältigen müssen.“
Im Gutachten findet sich unter dem Punkt „ Die Haushalte des Landes Schleswig-Holsteins (2020 und 2021)“ der Absatz:
Zuführungen an das Infrastrukturprogramm „IMPULS 2030“.
Dort heißt es sehr eindeutig:
a) Zuführungen an das Infrastrukturprogramm „IMPULS 2030“
Die Zuführungen an das Programm „IMPULS 2030“ tragen nicht unmittelbar zur Überwindung der Corona-Notlage bei und können daher nicht mit Einnahmen aus Krediten finanziert werden, zu deren Aufnahmen nach Art. 61 Abs. 3 SHVerf ermächtigt wurde. Das Programm „IMPULS 2030 – InfrastrukturModernisierungsProgramm für unser Land Schleswig-Holstein“ wurde durch das Finanzministerium Schleswig-Holstein bereits im Jahr 2015 vorgestellt und hatte zunächst planmäßig ein Gesamtvolumen von ca. 2 Mrd. Euro. Ziel der Landesregierung ist es, mit Ausgaben nach Maßgabe des Programms den im Infrastrukturbericht 201473 festgestellten Investitionsstau abzubauen. Zur Projektverwirklichung wurde durch Gesetz das Sondervermögen IMPULS 2030 errichtet, in welches seitdem nicht in Anspruch genommene Ausgabeermächtigungen der zukünftigen Haushalte fließen. Die Infrastrukturausgaben des „IMPULS 2030“-Programms sind mithin bereits seit Jahren Bestandteil der Haushaltsplanung des Landes Schleswig-Holstein.
Trotz der Etablierung des IMPULS 2030-Programms lange vor Einsetzen der Corona-Notlage zeigt der Haushalt für 2021, dass diesem Programm Mittel aus Notkrediten zugeführt wurden. Allein im Rahmen der Änderungen zum Haushaltsentwurf 2021 (sog. Nachschiebeliste) wurden 44,2 Mio. Euro für die Umsetzung neuer Maßnahmen veranschlagt. Diese Ausgaben werden durch entsprechende Entnahmen aus der mit dem 4. Nachtragshaushalt 2020 gebildeten Rücklage („Sicherung Investitionen des Landes in die Infrastruktur“) im Einzelplan 11 gegenfinanziert. Somit wird deutlich, wie Einnahmen aus Notkrediten zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen im Rahmen des IMPULS 2030-Programms verwendet wurden. Konkret sollten 23,8 Mio. Euro in den Krankenhauszukunftsfonds fließen. 10 Mio. Euro für digitale Infrastruktur und 10 Mio. Euro für die Fortsetzung von Schulbau und Schulsanierungen verwendet werden.
Daneben ist zu beachten, dass zur Sicherung der bereits geplanten Investitionen des Landes in die Infrastruktur im Landeshaushalt 2020 eine notkreditfinanzierte Rücklagenbildung in Höhe von 2,5 Mrd. Euro erfolgt ist. Das Land sichert somit ausweislich der Bemerkung im vierten Nachtrag zum Haushaltsplan des Landes Schleswig-Holstein für das Haushaltsjahr 2020 seine Fähigkeit zur Erbringung von – im Rahmen von „IMPULS 2030“ längst vorgesehenen – Ausgaben zur Modernisierung öffentlicher Infrastrukturen. Die Einnahmen aus Notkrediten werden somit für die Finanzierung bereits geplanter Infrastrukturvorhaben genutzt.
Allerdings dürfen Notkredite gem. Art. 61 Abs. 3 SHVerf nur zum Erhalt der staatlichen Handlungsfähigkeit für die Bewältigung einer Notlage aufgenommen werden. Die langfristige Bildung von Rücklagen ist zur Überwindung einer konkreten Notlage von vornherein nicht geeignet. Die Landesregierung hat auch nicht – im Rahmen ihrer Darlegungsobliegenheiten – ausgeführt, dass die Infrastrukturinvestitionen eine unmittelbare Wirkung auf die Überwindung der Notlage entfalten könnten.
Wenn Infrastrukturausgaben durch Einnahmen aus Krediten gedeckt werden, sind die Anforderungen an die materielle Konnexität nur gewahrt, soweit diese Infrastruktur einen Beitrag zur kurzfristigen Bewältigung der Pandemie leisten kann. Sämtlichen im Kontext des „IMPULS 2030“-Programms getätigten Infrastrukturausgaben, die durch Notkredite finanziert wurden, fehlt allerdings dieser notwendige materielle Konnex zur Corona-Notlage.
Das gesamte Rechtsgutachten gibt es hier nachzulesen: Gutachten Schuldenbremse
Statement von Dr. Aloys Altmann zu den Ergebnissen des Rechtsgutachtens: Statement zur Pressekonferenz.
Bericht zur aktuellen Haushaltslage Schleswig-Holsteins: Bemerkungen zum Haushalt 2022
Die Forderung des Bundes der Steuerzahler ist daher sehr eindeutig und lautet: Künftige Generationen dürfen nicht mit einer Verschuldung belastet werden, die verfassungswidrig zustande gekommen ist!